The mothers eat fermented grapes, and the daughters get pointed teeth.
The mothers eat fermented grapes, and the daughters get pointed teeth.
Die Mütter essen vergorene Trauben und die Töchter bekommen davon spitze Zähne.
Arthur Schmitz (first on left) with unidentified men eating at an outdoor table; Les Milles internment camp, France, 1940, b/w - image: Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York |
Wir hätten eigentlich ruhig sitzen bleiben und unser Gespräch fortsetzen können, aber dann kam er, der seelenruhig unter dem schattigen Dach einer Buche gelegen hatte, herüber, um uns, wie wir ein wenig zu spät bemerkten, festzuhalten. Erst blickten wir mürrisch auf das fleckige Blech vor uns, dann aber wurden wir gelassen. Er hat uns mit so großen Augen angesehen, ich musste grinsen als ich in das schwarze Rund blickte. Er fing uns ein, wie wir so saßen, aber er war auch wie ein Argument zu einem Punkt, der in unserem Gespräch gemacht worden war. (Die Medusa soll ansonsten auch eine schöne Frau gewesen sein. Schon allein, wenn sie nichts versteinert hätte, wer hätte uns dann all das Mumienmachen beigebracht, oder in den Sand zu schreiben, auf dem unsere Fundamente stehen, so könnte man sagen, das Schlangenhaupt, das dich fängt und nicht mehr vom Fleck lässt, sei eine ansonsten schöne Formidee, könnte man sagen.) Wir haben danach noch weitergesprochen. Inzwischen mussten wir unserem Ort in unserem Gespräch aber völlig neu bestimmen, unsere Frage von vorhin (welche Kräfte, so, glaube ich, hatten wir es zusammengefasst, in der Geschichte wirken und wie der Ort des Fragers beschaffen und wirksam ihnen gegenüber ist) hatte sich verändert; als hätte die Zukunft durch die Photographie einen Angriff auf uns verübt. Die Buche gab keinen Laut mehr von sich, war völlig stumm geworden. Schmitz meinte schließlich, vielmehr meine Mutter sei ein Angriff auf die Gegenwart gewesen, und wir lachten, als wir den Tisch aufräumten, und es war auch besser, an andere Dinge zu denken, als wir wieder hineingingen. |
Unidentified person (first on left) with unidentified men eating at an outdoor table; premises of Tolmien container storage company, Germany 2011, digital color - images: Courtesy of Christoph Medicus |
Czechoslovak President Tomas Garrigue Masaryk seated at the head of an outdoor dining table under palm trees surrounded by unidentified men and women, undated, b/w, , 11 x 16.5 cm - image: Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York |
Es ist schon seltsam, wie viel ich auf mich genommen und gearbeitet habe, um nun hier zu sitzen. Man sagte schon vor Tagen, dass an dieser festlichen Tafel sich die Großen einfinden würden. Vielleicht würde sogar der Präsident kommen, ging das Gerücht. Nun habe ich es geschafft, nun bin ich auch hier. Ob man nun meinen Namen in Zukunft noch hören wird oder nicht, bin ich doch festgehalten auf dem Bild, das von diesem Ereignis gemacht wurde. Ich hatte gehofft, dass das passieren würde. Aber es ist schon verrückt. Wenn ich mir das vorstelle. So lange habe ich studiert, mir so viele Nächte um die Ohren geschlagen, dass es fast sinnlos erschienen war. Meine Mutter hatte schon recht, dass ich längst eine Familie hätte gründen können in der Zeit. Aber nun merke ich, dass es doch zu etwas gut war. Ich beginne nun zu verstehen, was die Menschen an diesem Tisch bewegt, was sie dazu veranlasst, so zu handeln und nicht anders. Wie sie Schritt für Schritt ihren Plänen näherkommen. Jeder hat seinen eigenen Plan und keiner weiß vom andern. So bewegt man sich langsam aufeinander zu. Der dort möchte verbinden, der Herr mit der Brille gegenüber möchte trennen. Das habe ich von ihm selbst gehört. (Ich habe leider seinen Namen schon wieder vergessen, jetzt kann ich ihn auch nicht mehr fragen.) Da habe ich gemerkt, dass die ganze Arbeit nicht umsonst war. Ich kann sitzen und die anderen stehen. Aber mehr noch: niemand bemerkt mehr, wo ich herkomme, wer meine Eltern waren, was mein eigener Plan ist. Hier ist ein neuer Anfang in eine neue Zukunft. Das Bild hat es besiegelt. <7td> |
Unidentified man seated at the head of an outdoor dining table under a bridge surrounded by unidentified men and women, 2011, digital color, various size - images: Courtesy of Christoph Medicus |
Rudolf and Rudolfine Menzel sitting at table with family ?, undated, b/w - image: Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York |
So singt man auch traurige Lieder, um die Hörer zu erfreuen und glücklich zu machen, wie wir vielleicht traurig werden, wenn wir an diesen fröhlichen Tisch zurückdenken werden. Vielleicht werden wir denken, dass das das letzte Fest seit langem gewesen ist. Oder etwas ändert sich und jemand wird uns fragen, wie wir nur hätten feiern können. Oder dass wir eben alt geworden sind und weniger werden, das würde schon genügen. Er hat sich gefreut wie ein Kind, als er die schönen Servietten und die schönen Gläser gesehen hat. Aber das ist eine falsche Redewendung, denn die Kinder haben von all dem gar nichts bemerkt. "Alles das und nur für mich!" hat er glücklich gerufen, als er ich in unsere Mitte gesetzt hat, das Familienoberhaupt. Dass das nicht die ganze Wahrheit ist, wusste er natürlich, und wie jeden Tag hat er es, wie jeder, gewiss gerne vergessen. Nun will Tante Menzel auch noch ein Photo machen. Es ist ja wirklich ein schöner Abend, wieso nur muss ich nachdenken: traurige Lieder, fröhliche Photos. Lächle, egal, ob das alles für dich ist. (Dann später: Es muss ein Gebirge geben, wenn man all die Tische stapelt, an denen so fröhlich gegessen wurde, aber die Bilder sind für den besonderen Anlass. Andere werden wieder so sitzen, wir werden nie mehr so sitzen, es wird kein nächstes Bild mehr geben, noch einen runden Geburtstag wird er wohl nicht erleben. Und plötzlich werden wir uns zu diesem Bild nicht mehr verhalten können, es nervös in den Händen halten, mit einem Stillstand im Kopf, wie ihn nur Trennung und Tod hervorbringen können, ich sehe es schon kommen. Muss mich endlich schlafen legen. |
Unknown man and woman sitting at table with family ?, 2011, digital color - images: Courtesy of Christoph Medicus |
Girls of the Reichenheim orphanage seated at outdoor picnic table with the actress Asta Nielsen, b/w, ca.1914 - image: Courtesy of the Leo Baeck Institute, New York |
Da sitzt sie nun. Es lässt sich nicht leugnen, wie schön sie ist, und niemand kann es verschweigen. Sie hat mich noch kein einziges Mal richtig angesehen, seit sie hier ist. Im Spiegel des Kaffees sieht mein Lächeln doch ganz nett aus. Als bräuchte es nicht mehr, als eine Blume am Revers und eine schöne Dame am Tisch, um auch mich zum Narziss zu machen. Aber die Zeit wird ihr lang, das zieht sich klar von ihren Mundwinkeln bis in die glatten Wangen hinein, obwohl sie bereits viel zu spät gekommen ist. Was sie nun mit den Kindern reden soll, das weiß sie nicht so genau. Die Mädchen haben sich den ganzen Vormittag Zöpfe geflochten, haben eine ganze Kunst daraus gemacht und waren aufgeregt, wie ich es noch nie erlebt habe. Sie flochten einander die Zöpfe und lösten sie wieder auf und flochten und flochten sie von neuem, bis sie nach ihrem Geschmack schlank genug am Kopf lagen. Nach dem Geschmack eines Plakates, heißt das, auf dem vielleicht auch Madame Nielsen abgebildet war, gerade wie sie da jetzt sitzt. Ob sie wohl hat, was sie will? Sogar ein Photograph ist da, es soll sich ja lohnen. Die Frau von Welt muss in der großen Welt gesehen werden, auch wenn sie sich wie zufällig in die kleine Welt hinein begibt. Gerade jetzt, gerade jetzt zeigen sie, wie viel ihnen an den Kindern liegt, plötzlich. War dieses Getöse schon die Aufnahme des Bildes? Nun habe ich gar nicht gesehen, was sie für ein Gesicht macht; was sie für ein Gesicht machen wollte; was für ein Gesicht man gern gesehen haben wird, im Vorbeigehen. |
Girls and boys seated at outdoor picnic table served by the artist, digital color, 2011 - images: Courtesy of Christoph Medicus |
Texte von Tobias Roth
Bufettsituationen und Fotografien von Christoph Medicus
In Zusammenarbeit mit
Leo Baeck Institut Berlin/New York,
Tolmien Container Storage,
Gangway e.V. und
esskultur Berlin im Rahmen des LEO BAECK SALON NR.9 (THE FINE ART ISSUE) 2011.
Besonderer Dank für die Hilfe bei der Umsetzung: Lucie Menz, Birgit Claus, Sandra Krause Gomez, Titiana Calandrino and Ghazaleh Koohestanian